30 September 2003

Der Warschauer Aufstand von 1944 aus deutscher Sicht

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Als am 1. August 1944 der Warschauer Aufstand ausbrach, war ein düsteres Nachspiel von deutscher Seite vorauszusehen. So stellte Heinrich Himmler zusammenfassend fest, als er Hitler über die Vorkommnisse informierte, dass „die Aktionen der Polen ein Segen“ seien. „Wir machen sie fertig...Warschau wird liquidiert und die Stadt...die Hauptstadt des Volkes...die uns über 700 Jahre in unserem Drang nach Osten aufhielt...wird aufhören zu existieren“.

Im Jahre 1944 hatte sich Polen einen herausragenden Platz in der so genannten „Weltanschauung“ der Nazis verdient. Als Erbe einer langen Tradition der Rivalität mit seinem westlichen Nachbarn, drängte es im Jahre 1939 den deutschen Ansturm zurück und nötigte Hitler zu einem offenen Konflikt, den er eigentlich vermeiden wollte. Überdies besaß dieser Staat, als wenn es nicht schon genug Ursachen zur negativen Bewertung durch die Machthaber in Berlin gegeben hätte, die größte Population der jüdischen Bevölkerung in ganz Europa.

Deshalb war das Besatzungsregime in Polen besonders brutal. Polen sollte von der Karte Europas entfernt werden. Ausgesondert und nach primitiven rassischen Kriterien sortiert, wurde seine Bevölkerung in das Generalgouvernement gezwängt, mit der Hauptstadt „in der alten deutschen Stadt Krakau“. Während der eine Teil zur Vernichtung vorgesehen war, sollte der Rest als nur halb ausgebildete, sklavische Kaste die Aufgabe haben, seinen neuen, deutschen Herren zu dienen. Im Gegensatz zu fast allen anderen besetzten Völkern, machte Berlin den Polen das Angebot zur Kollaboration niemals. Selbst als sie die letzten ´Freiwilligen` für den antibolschewistischen Kreuzzug’ suchten, war der Gedanke - eine polnische Division der Waffen-SS zu gründen - für sie undenkbar. In anderen Ländern hatten sie diese Skrupel eher nicht.

Auch Warschau erzürnte die Deutschen. Als Hauptstadt der Zweiten Republik symbolisierte sie im Jahre 1939 eine stolze Gegenwehr. Als eines der Hauptzentren der polnischen Juden, stand sie symbolisch für ihre reichen Traditionen. Somit war also diese Stadt für eine radikale Reorganisation vorgesehen. Gemäß den Plänen von 1940 sollte das Territorium Warschaus um ein Zehntel und ihre Bevölkerung um ein Viertel reduziert werden, welche daraufhin durch den Zuzug deutscher Siedler ergänzt werden sollte. Zur selben Zeit plante man den Status Warschaus systematisch zu reduzieren, um es in eine zweitrangige Provinzstadt umzuwandeln. Die Hauptstadtfunktion und der den Deutschen entgegengebrachte Widerstand sollten nur als Erinnerung bestehen bleiben.

Durch die eigene Propaganda und das selbst entworfene schräge Bild von der Welt verblendet, waren die Deutschen außerstande, im polnischen Volk etwas mehr als eine Ansammlung Widerständler, Rückfälliger und Banditen zu sehen. Also betrachteten sie die Entwicklung der Ereignisse in Warschau im August 1944 als lebendiges Sinnbild dieser Anschauung. Es war deshalb auch nicht überraschend, dass die ersten, zur Niederschlagung des Aufstandes bestimmten Streitkräfte Einheiten waren, die im ‘Anti-Partisanen’- Kampf berühmt - berüchtigt waren. An ihrer Spitze stand der SS-General Erich von dem Bach, ein Veteran schmutziger Kriege der SS, der zuvor der Befehlshaber im Anti-Partisanenkampf an der Ostfront gewesen war. Er kommandierte zwei Einheiten, die selbst unter anderen Nazi-Einheiten zu trauriger Berühmtheit gelangt waren: die Brigade Dirlewangers, die nachweislich aus Kriminellen zusammengesetzt und von einem Päderasten befehligt wurde und die Brigade Kaminski, der verschiedenartige ehemalige sowjetische Zivilisten und Deserteure angehörten. Diese beiden Brigaden hatten sich bereits durch einige der bestialischsten Aktionen des gesamten Krieges ausgezeichnet, und in Warschau sollten sie noch größere Schande auf sich laden.

Die erste Phase der deutschen Kampagne in Warschau kann man aus deutscher Sicht als die Vernichtung einer gewissen Anzahl von ´Schädlingen` charakterisieren. So sah es buchstäblich aus, als beispielsweise Anfang August die ersten „Anti-Partisanen“- Einheiten in die westliche Vorstadt durch die Stadtbezirke Wola und Ochota vorrückten. Die in vielen Aktionen des Partisanenkampfes an der Ostfront erworbenen Fähigkeiten nutzend, setzten die Soldaten dieser Einheiten Häuser in Brand und massakrierten alle angetroffenen Männer, Frauen und Kinder.

In anderen Teilen der Stadt zeigen die deutschen Kräfte anfangs in einer Selbstsicherheit ihre Überlegenheit über die Polen, die an Arroganz grenzte. Die festgelegte Strategie bestand aus zwei Etappen. Zuerst sollten die Artillerie und die Luftwaffe die Positionen der Aufständischen intensiv bombardieren, und danach sollte der Frontalvorstoß zu Lande erfolgen. Auf diese Weise wurde beabsichtigt die überwältigende Feuerkraft und die unvergleichlich bessere Kriegsausrüstung zu demonstrieren, was die leicht bewaffneten Aufständischen einschüchtern und zur Kapitulation unter minimalem Einsatz von (natürlich deutschem) Menschenleben nötigen sollte. Es zeigte sich aber, dass diese Annahmen sowohl im ersten als auch im zweiten Falle fehlerhaft waren.

Die Aufständischen ließen sich nicht einschüchtern. Sie ergaben sich nicht, vielmehr wehrten sie des öfteren die deutschen Angriffe auf ihre Positionen erfolgreich ab, während der Bombenhagel der Fliegerangriffe nahezu ideale Bedingungen für den aufständischen Kampf in der Stadt lieferte. Angesichts der überwältigenden Übermacht des Feindes zerstreuten sich die Formationen der Aufständischen zunächst, um darauf ihre Reihen wieder zu schließen und an anderer Stelle anzugreifen. Die am Tage verlorenen Stellungen wurden unter dem Mantel der Nacht zurückerobert. Unsichtbare Scharfschützen lauerten in den Schatten, um unerwartet den Feind zu treffen. Auf verlassenen Barrikaden hinterließ man Fallen, und von den oberen Stockwerken flogen Flaschen mit Benzin. In Kürze wurde es den deutschen Soldaten auf den Schlachtfeld (wenn auch noch nicht ihren Vorgesetzten) bewusst, dass sie es mit einem Gegner zu tun hatten, der sowohl einfallsreich, als auch tödlich gefährlich war. Die Kampagne, die anfangs als einfache Operation zur Säuberung des Gebietes von spärlich bewaffneten und schlecht ausgebildeten ´Banditen` vorgestellt wurde, wandelte sich nun (in der deutschen Auffassung) in eine bedeutend ernstere Angelegenheit um. Ein wenig Achtung vor dem polnischen Gegner zeigte sich nunmehr sowohl in der offiziellen als auch in der inoffiziellen Korrespondenz. Es wurden sogar Vergleiche zu Stalingrad gezogen.

Also wurde den Deutschen am Ende des ersten Monats bewusst, dass die von ihnen gewählte Strategie wirkungslos war. Die Politik des Auslöschens im´Anti - Partisanen’ Kampfstil vervielfachte die Menge der zum Kampf bereiten Menschen und festigte die Entschlossenheit der Aufständischen. Von dem Bach kam zu der Überzeugung, dass er dennoch Verhandlungen aufnehmen müsse und er diesbezüglich gezwungen sein würde, dem Feind eine gewisse Achtung entgegenzubringen. Nach langen Verhandlungen wurde den polnischen ´Banditen` hohe Wertschätzung zugebilligt. Sie sollten als Kombattanten der alliierten Kräfte anerkannt werden, die nach der Kapitulation die gleiche Behandlung beanspruchen könnten, wie die Kriegsgefangenen aus westlichen Armeen. Es wurde zugesichert, dass es keinerlei Vergeltungsmaßnahmen weder an der Zivilbevölkerung, noch Repressalien an festgenommenen Personen geben würde. Im großen und ganzen wurden diese Absprachen eingehalten.

Während die Verhandlungen andauerten, wurden die Kämpfe dennoch fast einen Monat weitergeführt. In dieser Zeit wurden sich manche Deutsche einiger unbequemer Wahrheiten bewusst. „Es ist eine traurige Wahrheit, dass sie besser als wir kämpften“, schrieb einer. Ein anderer war noch enttäuschter: „Es ist mir klar geworden“ – schrieb er – „dass nicht wir das Volk sind, welches Kraft, Nationalgefühl und Opferbereitschaft verkörpert“. Er fügte noch hinzu: „Die Polen zeigten sich von einer Seite, an die wir nicht heranreichen“.

Erst als der Aufstand Anfang Oktober endlich zum Ende kam und die erschöpften und ausgehungerten Aufständischen sich versammelten, um die Waffen niederzulegen und in die Gefangenschaft zu marschieren, sahen die deutschen Soldaten zum ersten Mal in die Gesichter ihrer Gegner. Es konnte ihnen nur imponieren. In Briefen an die Familie beschrieben einige die „edle Haltung“ der polnischen Kombattanten und stellten das Bild der in geschlossener Formation marschierenden Männer dem propagandistischen Stereotyp der Horde von ´Banditen` und ´Unruhestiftern` entgegen. Andere bewunderten schreibend ihren „vorbildlichen“ und „unbeugsamen Patriotismus“. Die, welche die Kapitulation der Polen erlebt haben, denen blieb sie in jeder Weise unvergeßlich.

Doch das vielleicht größte Kompliment wurde durch General Reinhard Gehlen ausgesprochen. Er war Chef der Abteilung Fremde Heere Ost, die einen Nachrichtendienst auf dem Gebiet der Feinde des Reiches im Osten aufgebaut hatte. Gehlen untersuchte wiederholt die Daten zur polnischen Untergrundarmee (AK) und war sicherlich auch mit dem Verlauf des Warschauer Aufstandes bestens vertraut. Im Frühjahr 1945 wurde er nach Berlin berufen, um bei der Verabschiedung Jener anwesend zu sein, die man mit der Gründung der deutschen Untergrundorganisation Wehrwolf beauftragt hatte, die nach der zu erwartenden Okkupation durch die Alliierten den Kampf fortsetzen sollte. Er wurde nach der Gestalt gefragt, die seiner Meinung nach die Organisation Wehrwolf annehmen sollte. Daraufhin gab er zur Antwort, dass es gut wäre, wenn sie sich die polnische Heimatarmee zum Vorbild nehmen würde.

Zwei Monate nach der Beendigung des Aufstandes wurde verfügt, den deutschen Soldaten, die an der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes mitgewirkt hatten, ein Auszeichnungsabzeichen für den Arm in Form eines Schildes zu überreichen. Sie war für all diejenigen vorgesehen, die an den Kämpfen in der Stadt mindestens sieben Tage beteiligt waren, dort verwundet wurden, oder mindestens 28 Tage in Versorgungseinheiten gedient hatten. Mit der Produktion dieser Abzeichen wurde begonnen, jedoch zerstörte ein alliierter Fliegerangriff sie zusammen mit den Produktionsmaschinen. Letztlich erhielt kein einziger Soldat jemals ein solches Abzeichen. Dennoch ist dieses Vorhaben selbst bereits aussagekräftig. Auf dem Schild stand die Aufschrift „Warschau 1944“, und ein deutscher Adler mit einem Hakenkreuz auf der Brust, umklammert in seinen Fängen eine zusammengerollte Schlange. Im Warschauer Aufstand verdienten sich die Polen die große Bewunderung der Fremden, offiziell wurden sie aber weiterhin als Volk der Schlangen betrachtet.

Roger Moorhouse

  1. Zitat aus Noakes und Pridlam (Verf.), Nazism 1919-1945, Band III, Exeter 1988, S.996
  2. Heinrich Stechbarth, Tagebucheintrag vom 4. Oktober 1944
  3. Peter Stolten, Brief aus Warschau, 5.Oktober 1944
  4. Peter Stolten, Brief aus Warschau, 6.Oktober 1944
  5. The service: The Memoirs of General Reinhard Gehlen, New York 1972

 

 

 

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